Zur Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung

SG Berlin, Urteil vom 04.03.2011 – S 37 AS 18517/10

Zur Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung

Tenor

Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 4.5.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 7.5.2010 verurteilt,

1. im Zeitraum 14.9.2009 bis 31.12.2009 die Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 609,25 € zu übernehmen

2. im Zeitraum Januar bis März 2010 die Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 595,14 € zu übernehmen

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Der Beklagte erstattet die außergerichtlichen Kosten.

Tatbestand

Streitig ist die Höhe der zu übernehmenden Unterkunfts- und Heizkosten im Bewilligungsabschnitt 14.9.2009 bis 31.3.2010.

Die Kläger, eine 3-Personen-Bedarfsgemeinschaft, bezogen von 2006 bis Februar 2009 ergänzend zu Erwerbseinkommen des Klägers zu 1) SGB II-Leistungen, berechnet nach einer auf 542 € gekappten Miete inklusive Heizkosten für eine 79,29 qm großen Wohnung, für die seit August 2009 352,66 € (= 470,21 € Grundmiete abzüglich 117,55 € Mietnachlass), 185,46 € Betriebskosten, 12,39 € für Aufzug und 74,26 € Heizkosten zu zahlen sind. Die Wohnung wird zentral mit Warmwasser versorgt.

Im März 2009 waren die Kläger aus dem Leistungsbezug ausgeschieden, weil die Klägerin zu 2) eine Beschäftigung aufgenommen hatte, die innerhalb der Probezeit, im August 2009, endete.

Die ab 14. September 2009 beantragten Leistungen nach dem SGB II waren unter Fortschreibung der AV-Miete von 542 € errechnet worden.

Gegen die mit Widerspruchsbescheid vom 7.5.2010 bestätigte Kappung der Unterkunfts- und Heizkosten haben die Kläger am 10. Juni 2010 beim Sozialgericht Berlin Klage erhoben. Sie machen geltend, wegen der zwischenzeitlich überwundenen Hilfebedürftigkeit sei die Absenkung der Unterkunfts- und Heizkosten nur nach einer vorherigen Senkungssaufforderung zulässig.

Der Bevollmächtigte der Kläger beantragt,

den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 4.5.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 7.5.2010 zu verurteilen, die tatsächlichen Miet- und Heizkosten unter Berücksichtigung der Warmwasserpauschalen zu gewähren.

Die Beklagtenvertreterin beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zum übrigen Sach- und Streitstand wird ergänzend auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und die beigezogenen Leistungsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Gegenstand der Klage ist nach dem Änderungsbescheid vom 4.5.2010 der gesamte Leistungszeitraum vom 14.9.2009 bis zum 31.3.2010, wobei sich der Streit nur auf die Unterkunfts- und Heizkosten bezieht. Die insoweit zulässige Klage ist weitgehend begründet. Den Klägern stehen – gerechnet nach der Produkttheorie – höhere Leistungen für die Unterkunfts- und Heizkosten zu. Für die ersten drei Monate des Leistungsbezugs sind die tatsächlichen Kosten abzüglich der Warmwasser-Pauschalen zu übernehmen.

Leistungszeitraum 14.9. bis 31.12.2009

Die Mietsenkungsaufforderung dient dazu, Menschen, die hilfebedürftig werden, einen geregelten, schuldenfreien Übergang in ein nach dem SGB II angemessenes Mietverhältnis zu ermöglichen. Daher gibt es zum einen keine Pflicht des SGB II-Trägers, stets für sechs Monate auch unangemessene Kosten zu übernehmen, andererseits sind die Leistungsberechtigten davor geschützt, überstürzt und mit negativen Folgen für die Suche nach zumutbarem Wohnraum eine zu teure Wohnung aufzugeben.

Die Mietsenkungsaufforderung ist nicht in der Weise mit einer Übernahme der Unterkunfts- und Heizkosten verknüpft, dass sie auch einer erneuten Bewilligung stets vorausgehen muss, wenn die Betroffenen aus dem früheren Leistungsbezug oder sonstigen Umständen wissen, welche Werte Leistungsberechtigten zugestanden werden.

Obwohl die Bruttowarmmietwerte der AV-Wohnen nicht der Produkttheorie entsprechen, hat das BSG daraus nicht gefolgert, dass schon deshalb keine Absenkung der Mietkosten erfolgen könne, also solange die tatsächlichen Miet- und Heizkosten zu übernehmen sind, bis anhand korrekter Vorgaben zu den maßgeblichen Richtwerten zur Senkung der Kosten nach § 22 SGB II aufgefordert werde.

Die Kammer schließt sich dem mit der Maßgabe an, dass eine Senkungsaufforderung immer dann erforderlich ist, wenn die Betroffenen einen Beratungsbedarf zu den vom Jobcenter für maßgebend gehaltenen Werten haben oder Umstände eingetreten sind, aufgrund deren sie nicht (mehr) damit rechnen konnten, dass bei Eintritt der Hilfebedürftigkeit nur ein Teil der Kosten übernommen wird (Vergrößerung der BG, neu entstandene Bindung an das unmittelbare Wohnumfeld, Eintritt einer Behinderung mit Auswirkung auf die Wohnung, Neufassung der AV-Werte etc.).

Liegen solche Besonderheiten nicht vor, hat es das BSG z. B. ausreichen lassen, dass Hilfebedürftige aus BSGH-Zeiten über Mietwerte informiert waren, die der SGB II-Träger dann bei Umstellung auf das Alg II übernommen hatte (BSG vom 7.11.2006 – B 7b AS 10/06 R; 18/06 R) .

Im Fall einer zwischenzeitlichen Überwindung der Hilfebedürftigkeit durch Aufnahme einer Beschäftigung, wie hier, folgt das erkennende Gericht der Instanzrechtsprechung darin, dass zumindest eine Übergangsfrist, binnen deren eine ordnungsgemäße Kündigung und Neuanmietung möglich ist, gewahrt werden muss. Insoweit hat das Gericht die für Mieter geltende Kündigungsfrist von drei Monaten angesetzt.

Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass die Kläger ohnehin nicht ausziehen wollten und schon daher keine Übergangsfrist benötigten. Zum einen ist das spekulativ bzw. hinge die Entscheidung dann von schwer überprüfbaren Einlassungen der Betroffenen ab, zum anderen waren die Kläger in der Phase der doppelten Erwerbstätigkeit nicht verpflichtet, auf eine „Hartz IV-Wohnungssuche“ für den hypothetischen Fall der Kündigung zu gehen. Sie müssen daher – wie bei Ersteintritt in den Leistungsbezug – die Chance bekommen, eine andere Wohnung unter zumutbaren Bedingungen anzumieten. Allerdings verkürzt sich die Suchfrist, weil ehemals Leistungsberechtigte, wie die Kläger, die sich noch in einem ungesicherten Arbeitsverhältnis befinden, wie hier, sofort nach Kenntnis der Kündigung oder Nichtverlängerung der Probezeit auf Wohnungssuche begeben können und sollen (dazu LSG Niedersachsen-Bremen vom 9.10.2007 – L 9 AS 461/07; LSG Berlin-Brandenburg vom 3.6.2010 – L 19 AS 377/10 B ER).

Für die Zeit vom 14.9. bis zum 31.12.2009 haben die Kläger daher Anspruch auf Übernahme der tatsächlichen Unterkunfts- und Heizkosten von 624,77 €, von denen die Warmwasser-Pauschalen von 2 x 5,82 € + 3,88 € für das Kind abzuziehen sind, ergibt einen Wert von monatlich 609,25 €.

Leistungszeitraum 1.1. bis 31.3.2010

Nach gefestigter BSG-Rechtsprechung entspricht die AV-Wohnen nicht der gesetzlichen Regelung des § 22 SGB II. Danach müssen die Kaltmiete und die kalten Betriebskosten gesondert von den Heizkosten auf die Angemessenheit geprüft werden. Für die Bruttokaltmiete ist die Angemessenheit nach der Produkttheorie festzustellen. Mit drei Urteilen vom 19.10.2010 hat das BSG zum Berliner Wohnungsmarkt Vorgaben gemacht, denen das erkennende Gericht folgt:

1. In Berlin ist hinsichtlich der Raumgröße für eine aus drei Personen bestehende Bedarfs-gemeinschaft eine Zwei- bis Dreizimmerwohnung mit einer Größe bis zu 80 m² angemessen. Die jetzige Wohnung ist also angemessen.

2. Nach BSG-Rechtsprechung steht Leistungsberechtigten lediglich ein einfacher Ausstattungs-grad einer Wohnung in einfacher Lage zu. Ausgangspunkt für diese Berechnung ist der Mietspiegel in der Fassung, die der Behörde zum Zeitpunkt ihrer Ausgangsentscheidung vorliegt (BSG vom 19.10.2010 – B 14 AS 2/10 R), hier der Berliner Mietspiegel 2009. Die dort erfassten Qm-Preise für Wohnungen von 60 qm bis unter 90 qm mit Bad und Sammelheizung aller Baualtersgruppen (auch dazu BSG a.a.O.) in einfacher Lage sind mit dem gewichteten Mittelwert anzusetzen. Dies ergibt hier einen qm-Preis von 4,62 €.

Danach erweist sich eine Kaltmiete von 80 qm x 4,62 € = 369,60 € als angemessen.

Zur Ermittlung der angemessenen kalten Betriebskosten nimmt das Gericht im Anschluss an die o. g. BSG-Entscheidung vom 19.10.2010 den örtlichen Betriebskostenspiegel in Bezug. Er gibt am genauesten die pro qm Wohnfläche üblicherweise nach den örtlichen Gegebenheiten pro Monat anfallenden Mietnebenkosten, getrennt nach einzelnen Nebenkostenarten, wider.

Abschläge auf die abstrakt angemessenen Betriebskosten sind nicht vorzunehmen, weil sich die Höhe der Nebenkosten nicht in erster Linie am Wohnstandard (Aufzug, Grünfläche etc.) misst, sondern am Baualter und der Gebäudeart. Es ist also nicht so, dass hohe Betriebskosten typischerweise für Wohnungen mit gehobener Ausstattung oder in besserer Wohnlage anfallen.

Eine weitergehende Differenzierung danach, ob der Hilfebedürftige einen Aufzug benötigt oder über Kabelanschluss verfügt, hält das Gericht im Rahmen der Ermittlung eines nicht objektbezogenen, abstrakten Angemessenheitswertes daher für nicht sachgerecht und letztlich willkürlich, weil auch nicht annähernd seriös geschätzt werden kann, dass bei Abzug solcher Kostenpositionen ein Betrag herauskommt, der die Nebenkosten einfacher Wohnungen in einfacher Lage repräsentativ abbildet (so auch BSG a.a.O.).

Nach dem BK-Spiegel auf S. 21 des Berliner Mietspiegels 2009 ergibt die Summe der Mittelwerte der kalten Betriebskosten (bei gemeinsamer BE- und Entwässerung) einen Betrag von 2,08 € pro qm. Obwohl die Auswertungen aus 2007 stammen, geht das Gericht unter Berücksichtigung der Erhebungen des Deutschen Mieterbundes zur Entwicklung der kalten Betriebskosten seit 2008 davon aus, dass die Mittelwerte noch zugrunde gelegt werden können.

Danach sind kalte Betriebskosten innerhalb der Grenze von 80 qm x 2,08 € = 166,40 € angemessen.

3. Die Heizkosten sind jeweils gesondert und individuell in den Grenzen eines sinnvollen Wirtschaftens zu übernehmen. Das ist bei den hier veranschlagten 74,26 € ohne weiteres der Fall.

Da es nach der Produkttheorie nicht auf die isolierte Angemessenheit der Kaltmiete und der Betriebskosten, sondern auf die Summe dieser beiden Beträge ankommt, ist die von den Klägern aufzuwendende Bruttokalt-Miete von 550,51 € mit dem Angemessenheitsgrenzwert von 369,60 € + 166,80 € = 536,40 € zu übernehmen.

Dazu kommen die angemessenen 74,26 € Heizkosten, wovon die Warmwasser-Pauschalen abzuziehen sind, ergibt einen Betrag von 58,74 €.

Für die Monate Januar bis März 2010 haben die Kläger demnach Anspruch auf Übernahme der Miet- und Heizkosten in Höhe von 595,14 €.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis in der Hauptsache. Wegen des überwiegenden Obsiegens ist eine Kostenquotelung nicht angezeigt.

Gründe für die Zulassung der Berufung sieht das Gericht im Hinblick auf die BSG-Urteile vom 19.10.2010 nicht.

Dieser Beitrag wurde unter Sozialrecht abgelegt und mit , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.